"Erhebt Euch, Syr Noreenus!", sprach der Mann auf dem Thron, der die Ehrwürde eines Königs ausstrahlte, auch wenn er keine Krone trug. Der Paladin erhob sich.
"Eure Boten haben mir berichtet, Ihr hättet die Unruhestifter des Bundes aus Blut und Feuer gefangen, die in Medea und auf Regenfels so viel Chaos angerichtet haben."
"Nicht nur Chaos, werter Ened Kelen, viel Schlimmeres: sie haben den wahren Glauben verraten und zahlreiche grausame Morde begangen. Das werden die Anklagepunkte vor dem heiligen Gericht sein. Der Bewahrer des Lichts, Haegus Malefar, wird sich ihrer höchstpersönlich annehmen wollen. Gewähret mir, sie solange in Euren Kerker zu werfen, bis ihnen hier der Prozess gemacht werden möge."
"Selbstverständlich", stimmte der Herr von Firnhall rasch zu, "mein Kerker freut sich auf alle Feinde von Glaube, Recht und Reich."
Er gab seinen Wachen Zeichen, uns umgehend abzuführen.
"Werft sie ins dunkelste Verlies, und vergesst nicht, ihnen vorher ihre Sachen abzunehmen!", rief Syr Kelen seinen Wachen noch nach.
Während wir hinausgeführt wurden, bekam ich noch mit, wie Speis und Trank in die Halle gebracht wurden. Mir knurrte der Magen beim Anblick der Köstlichkeiten – doch statt am Gelage teilzuhaben, wurden wir in die dunklen Eingeweide der Burg hinabgeführt. Der Fackelschein durchdrang kaum die Finsternis, sodass wir aufpassen mussten, wohin wir traten.
"Dieser Troll passt nicht durch die Öffnung!" rief einer der Wächter, der gerade mühsam versuchte, Urota durch einen engen Durchgang zu stopfen.
"Dann lasst ihn hier, auf dieser Ebene sind auch ein paar schöne Zellen!", entschied der Kerkermeister mit dämonischem Grinsen. Der Rest des Bundes aus Blut und Feuer verschwand dagegen im tiefsten Kerkerloch der Burg von Firnhall. Wir wurden nach Geschlechtern in zwei Zellen aufgeteilt – bei den Kobolden waren sich die Wächter unsicher und entschieden mehr nach Bauchgefühl, in welche der beiden gegenüberliegenden Zellen sie geschubst wurden. Bevor sie uns einschlossen, mussten wir unsere Taschen leeren und sie nahmen uns bis auf die Kleidung, die wir am Leib trugen, alle Habseligkeiten ab.
"Hier stinkt's!", rümpfte Anneliese die Nase. "Würde mich nicht wundern, wenn hier im Dunkeln ein paar vermoderte Leichen rumlägen!"
Widun widersprach: "Das liegt eher daran, dass es hier keinen Abort gibt!"
"Ruhe da!", grunzte einer der Wächter, dessen fetter Bauch einen ebensolchen Schatten warf. Sein Topfhelm saß nur halb auf seinem viel zu dicken Kopf, eine Säufernase wie eine Steckrübe ragte aus seinem Gesicht.
"Genau, sonst gibt’s nix zu futtern!", knurrte der zweite Wächter, der zurückgeblieben war. Er war das genaue Gegenteil: spindeldürr, mit einem Kettenhemd, das ihm über die Knie hing und einer Spitznase, aus der lange Haare wie Tropfsteine hingen.
Sie leuchteten mit ihren Laternen in unsere Zellen.
"Du, Pylak, schau dir die mal an: Kobolde, ein Faun, ein Halbschrat, ein Wichtel, eine Alwe und oben ein Troll – so einen bunten Haufen habe ich noch nie gesehen!", quiekte der Dicke verwundert.
Der Dürre hielt die Laterne in Richtung von Maluna und Vivana und flüsterte mit seinem Kumpanen, ich konnte nur "Harun ... die Jujin-Braut ist aber auch nicht schlecht!" verstehen.
Dann verschwanden sie kurz in einem Seitengang und brachten klappernd ein paar Näpfe mit, die mit irgendetwas, das einem Eintopf ähnelte, gefüllt waren. Außerdem wuchteten sie jeweils einen Wassereimer in jede Zelle: "Wasser: zum Trinken, gluck gluck, nicht zum Waschen!", wollte der Dürre Saradar belehren - dafür erhielt er eine feuchte Antwort: "Spucke: kannst selber entscheiden, was du damit machst!"
Pylak hob drohend sein Schwert – das kürzer als seine Nase war. Der dicke Harun hielt ihn zurück und wischte ihm mit seinem dreckigen Ärmel über das Gesicht.
"Der Abschaum erhält noch seine gerechte Strafe, dann kannst du ihm ins Gesicht spucken. Lass uns lieber würfeln, ich muss meine Verluste wieder wettmachen!"
Sie setzten sich an einen klapprigen Tisch vor dem Treppenabsatz, stellten die Laterne drauf und begannen mit ihrem Würfelspiel. Braune und Silberlinge gingen hin und her, begleitet von kleineren und größeren Wutausbrüchen.
Der verkochte Eintopf war wahrlich kein Genuss, aber seit längerem die erste warme Mahlzeit und daher rasch verschlungen.
"Irgendeine Idee, wie wir hier rauskommen könnten?", fragte Tarkin leise in die Runde.
Saradar strich sich gedankenverloren über die Narbe an seiner Brust und sagte: "Die beiden da sind nicht die Hellsten, die haben die Frauen gierig angestarrt, vielleicht ist da was zu machen!"
Leider hatten wir nicht bemerkt, dass der dürre Wächter plötzlich vor dem Gitter stand.
"So, ihr denkt, wir sind dumm! Ihr seid dumm, wenn ihr denkt, ihr kommt hier raus!"
Er spuckte in die Zelle und ging zurück zu seinem Würfelbruder.
"He, Wichtel, bleib stehen, sonst zertrete ich dich wie eine Assel!", rief plötzlich der dicke Wächter, der bemerkt hatte, dass sich Freya zwischen den Gitterstäben durchgedrückt hatte und im Schatten seines Bauches an den beiden vorbeischleichen wollte.
"Verdammt!", entfuhr es der kleinen Priesterin, als sie mit einem Tritt zurück in der Zelle landete.
"Versuch das nicht noch einmal, sonst kommst du in einen Sack!", drohte ihr der Dicke.
Maluna versuchte natürlich, die beiden abzulenken, doch hatten sie im Moment nur Augen für ihr Würfelspiel.
Von oben drang ein Poltern an unsere Ohren, etwas zwängte sich die enge Treppe herunter. Pylak sprang auf und fuchtelte drohend mit seinem Schwert: "Wer da?"
"Ich bin's nur, ihr Dussel!", erwiderte die dralle Magd ängstlich, als sie mit einem Bierfass zwischen den Brüsten in den Zellengang trat. "Das ist für euch, mit Empfehlung von unserem Herrn, ihr sollt nicht dürsten in der Finsternis während oben geschmaust wird!"
"Nett von dem Herrn!", freute sich der Dicke und zog die Magd mitsamt Fass auf seinen Schoß.
"Nur das Bier!", drückte sich die Magd von ihm herunter und knallte das Fässchen auf den Tisch.
"Schade, hätte gerne mit dem Fass den Platz getauscht!", bedauerte der Dürre mit lüsternem Blick.
"Da würdest du ersticken!", lachte die Magd und wackelte wieder den Gang hoch.
Das Fässchen war schnell angestochen und die ersten Krüge gefüllt. Sie stießen an – der Schaum spritzte über den Rand. Wir mussten Widun die Augen zuhalten, dessen heraushängende Zunge beim Anblick des Gerstensaftes immer länger wurde.
"Eine Wohltat für meine trockene Kehle!", seufzte Harun und rülpste – sodass es im Kerker nur so hallte. Ein paar Krüge später grölte der Dicke: "Schlürfen wir lieber nicht zu viel davon, bei der Arbeit muss man immer einen klaren Kopf behalten, hicks!"
"Gut, mein Dickerchen, aber einer geht noch!", stimmte ihm der Dürre zu.
Mit letzter Kraft prosteten sie sich zu und sackten im Trinken beide mit den Köpfen auf den Tisch, wobei sie den Rest des Bieres verschütteten.
"Was für eine Sünde!", grummelte Widun in seinen Bart.
Die beiden schliefen, der Dicke schnarchte so laut, dass ich an Urota denken musste, den sie ein Geschoss über uns eingepfercht hatten, beim Dürren flatterten die langen Haare im Nasenwind.
"Was jetzt?", fragte der Koboldkrieger in die Runde.
"Freya, meinst du, du kommst an die Zellenschlüssel?"
"Ja, das müsste klappen, jetzt wo die beiden so schön ihren Rausch ausschlafen."
Bevor die Wichtelin zur Tat schreiten konnte, hielt Vivana sie zurück.
"Pst, da kommt jemand!"
Wir hörten eindeutig Schritte: ganz leise und gedämpft. Fackelschein füllte den Durchgang und eine dunkle Gestalt trat in den Kerker. Sie trug ein Tuch vor dem Gesicht, ihre Augen funkelten im flackernden Licht. An der Seite trug sie ein Langschwert, das Wappen von Firnhall schmückte dessen lederne Scheide. Mit einer raschen Handbewegung enthüllte sie ein vom Leben gezeichnetes Gesicht mit tiefen Falten: Tux Kelen, der Herr von Firnhall stand vor uns.
Er blickte auf die schlafenden Wächter und musterte dann jeden Einzelnen des Bundes aus Blut und Feuer.
"Ich bin gekommen, um euch ein Angebot zu machen. Wenn ihr es annehmt, seid ihr frei - noch heute Nacht!"
Wir tauschten überraschte Blicke.
"Lasst es uns erstmal hören, bevor wir zustimmen!", forderte Saradar ihn auf.
"Vor einigen Tagen haben meine Männer eine Gruppe Valoreaner aufgegriffen. Sie überraschten sie an der Grenze zum Wilden Land. Der Ened von Firnmark erteilte mir den Befehl, sie auf unbestimmte Zeit hier in Firnhall festzuhalten. Sie wurden als Gäste aufgenommen, stehen aber unter der ständigen Bewachung durch einige Paladine des Eneds. Ich habe mich mit ihnen unterhalten und weiß, dass sie in einer sehr wichtigen Unternehmung unterwegs sind. Ich würde sie gerne ziehen lassen, bin aber durch meinen Schwur zu absoluter Treue gegenüber meinem Ened verpflichtet."
"Ah, ich verstehe: Ihr braucht jemanden, der sich für euch die Hände schmutzig macht und den Zorn des Ened auf sich zieht!", schloss Saradar.
"Alles ist besser als in dieser stinkenden Zelle zu vermodern!", hörte ich von Anneliese.
Er schaute noch einmal nach den Wachen, die weiter fröhlich vor sich hin schnarchten.
"Die Valoreaner sind im hinteren Teil des Hauptgebäudes untergebracht. Ihr findet es, wenn ihr in die Kanalisation hinabsteigt und dem Kanal gegen die Strömungsrichtung folgt. Im Norden liegt dann das Haupthaus, es gibt zwei patrouillierende Paladine, weitere sind in vier Nebengebäuden untergebracht. Wenn ihr ins Haupthaus gelangen könnt, verschwindet mit den Valoreanern nach Norden in die Gassen der Stadt. Verlasst Firnhall am besten auch durch die Kanalisation. Ein mir getreuer Waldläufer erwartet euch vor der Stadt und wird euch zu einer Hütte führen, in der ihr eure Waffen und Habseligkeiten vorfinden werdet."
Sein durchdringender Blick wanderte von einem zum anderen, während er drohte: "Wenn ihr es vorziehen solltet, ohne die Valoreaner zu verschwinden, dann werde ich euch von meinen Bluthunden jagen lassen und nicht eher ruhen, bis ich jeden einzelnen von euch zur Strecke gebracht habe!"
Ich schluckte.
"Nehmt ihr das Angebot an?"
Wir stimmten zu.
Er nahm dem dicken Wächter den Zellenschlüssel ab und warf diesen vor unsere Zellentür. Dann vermummte er sich wieder und verschwand wie ein Geist im Treppenaufgang.
Wir schlossen rasch die Zellentüren auf.
"Endlich draußen!", atmete Anneliese auf.
"Was machen wir mit denen da?", fragte Saradar und deutete auf die Wächter.
"Wir sollten sie sicherheitshalber fesseln und knebeln", empfahl Vivana.
In einer Ecke des Raums fanden wir ein Seil, das wir benutzen, um die beiden auf ihren Stühlen Rücken an Rücken festzubinden. Selbst die Knebel aus irgendwelchen modrigen Stofffetzen, die wir in der Zelle gefunden hatten, störten die beiden nicht - sie schliefen tief und fest.
Da musste wohl auch ein Schlafmittel im Bier gewesen sein: "Mit besten Empfehlungen vom Herrn von Firnhall!"
"Was ist mit Urota?", fragte Freya.
"Ich denke, das ist ein Auftrag für dich", befand Vivana und überreichte ihr den Zellenschlüssel.
"So klein wie du bist, kommst du ungesehen an der Wache vorbei und kannst den Schlüssel zu Urota schmuggeln. Den Rest erledigt dann unser lieber Hügeltroll."
Die kleine Wichtelpriesterin kämpfte sich tapfer mit dem für sie sehr schweren Zellenschlüssel die steile Treppe hinauf. Keuchend hatte sie schließlich das nächste Stockwerk des Kerkers erreicht. Sie ging vorsichtig in einen der Gänge hinein, in dem sie Urota vermutete. Sie lauschte: Schritte, die auf sie zukamen. Sie legte rasch den Schlüssel in eine dunkle Ecke und verkroch sich in einen Spalt der Kerkermauer. So eilig wie es der Wächter hatte, war er wohl auf dem Weg zum Abort.
Freya nutzte ihre Chance, schnappte sich den Schlüssel und rannte den Gang hinunter. In einer der Zellen erkannte sie die riesigen Umrisse des Hügeltrolls. Sie schlüpfte unter der Zellentür hindurch und winkte ihm. Urota drehte gerade den Kopf in ihre Richtung, dann schrie er: "Maus!" und schlug nach ihr. Freya flog gegen die Wand und blieb erstmal regungslos liegen. Nach einer halben Minute öffnete sie wieder die Augen und schüttelte sich.
Urota sah sie besorgt an, mit einem Grunzen versuchte er, sich für seinen Fauxpas zu entschuldigen.
"Wir müssen hier weg!", wisperte ihm Freya zu. Er nahm sie in die Hand und hielt sie vor das Schloss, sodass sie - mit einiger Mühe - die Zellentür aufschließen konnte.
Vivana schlich sich den Treppenabsatz hinauf und fand den von Kelen beschriebenen Weg in die Kanalisation - sie musste eigentlich nur dem Gestank folgen. Weiter den Gang hinunter schien der Abort zu sein, von dort hörte sie ein Stöhnen und plätschernde Geräusche - da hatte wohl jemand mit einem flotten Otto zu kämpfen. Sie grinste in sich hinein: wahrscheinlich "mit bestem Empfehlungen vom Herrn von Firnhall"!
Vivana holte die anderen ab: "Die Luft ist rein - äh, zumindest was die Wache angeht - und ich habe den Zugang zur Kanalisation entdeckt!"
Tarkin nahm sich eine Fackel von der Wand und schritt mutig voraus in die stinkende Unterwelt. Wir wateten durch die eklige Brühe bis wir an ein Stahlgitter stießen. Ein Blick nach oben offenbarte uns eine Leiter. Vivana stieg voraus, alle anderen folgten. Saradar und Anneliese stellten sich etwas ungeschickt an: Saradar jammerte über Schmerzen beim Klettern, Anneliese tat der Zeh weh.
Wir löschten die Fackel und lugten vorsichtig unter dem Kanaldeckel hervor: Zamas Licht beschien ein großes Gebäude, ich konnte spüren, dass dies das Haupthaus mit den Valoreanern sein musste. Von der Patrouille war gerade nichts zu sehen. Ich schlich mich zusammen mit Tarkin hinüber. Urota trug unterdessen den schmerzgeplagten Saradar in einen nahegelegenen Stall, der ein gutes Versteck bot. Der Rest der Gruppe folgte dorthin. Widun und Anneliese waren die letzten, die Koboldin stolperte und stürzte zu Boden. Das Licht in einem der Nebengebäude veränderte sich plötzlich und dann ging die Tür auf. Ein Paladin mit im Mondschein glänzender Rüstung und Riesenschwert am Gürtel trat heraus und kam schnurstracks auf Widun und Anneliese zu: "Heda!"
Widun tat das einzig Richtige: er knutschte Anneliese ab - dann kicherten beide. Der Paladin hob seine Laterne, schüttelte den Kopf, grummelte, "Ihr habt hier nichts zu suchen - trollt euch, ihr Kobolde!" und verschwand dann wieder im Nebengebäude.
Im Stall wieherte es - "Halt die Klappe, Pferd!" - "Nein! Nicht du, Tarquan", entschuldigte sich Vivana sofort.
Vorsichtig schlichen sich Vivana und Maluna zur Tür des Haupthauses. Als sie eintraten wurden sie von einem Dutzend angenockter Pfeile in Empfang genommen. Die in grüne Kapuzenumhänge gehüllten Gestalten wirkten bedrohlich. Maluna fand als erste ihre Stimme wieder: "Syr Kelen schickt uns, wir sollen mit euch zusammen aus der Stadt fliehen!"
Eine der Gestalten streifte daraufhin ihre Kapuze nach hinten.
"Ich bin Lyadan, Druidin der Ianna. Wer seid ihr?"
"Wir sind der Bund aus Blut und Feuer. Wegen falscher Anschuldigungen wurden wir in den Kerker geworfen. Syr Kelen hat uns unter der Bedingung freigelassen, dass wir euch zur Flucht verhelfen."
Die Druidin hob ihre Hand, woraufhin die Bogenschützen sich entspannten.
"Dann wisst ihr auch, dass wir einen Auftrag haben, der keinen Aufschub duldet?"
"Ja, Syr Kelen sagte etwas von einer wichtigen Unternehmung", antwortete Maluna.
"Seid ihr allein?", fragte die Druidin.
"Nein, unsere Freunde befinden sich nebenan im Stall", erklärte Maluna.
"Wir müssen aufpassen, dass uns die Paladine nicht sehen!", warnte die Valoreanerin.
"Ich gehe voraus und sehe nach, ob die Luft rein ist", schlug Vivana vor.
Sie kam nach ein paar Minuten zurück.
"Die Patrouille ist gerade vorbeigekommen, wir haben ab jetzt zehn Minuten Zeit, unbemerkt zu verschwinden!"
Wir verließen geduckt in einer Reihe das Hauptgebäude in Richtung Stall. Von dort aus schlichen wir alle nach Norden, wie es uns Syr Kelen empfohlen hatte. Im fahlen Mondlicht suchten wir vergebens nach dem Eingang zur Kanalisation. Anneliese musste einen Flammenhandzauber wirken, um uns mehr Licht zu verschaffen. Endlich fanden wir den Zugang. Wir folgten dem Kanal in Richtung nördlicher Stadtmauer und kamen oberhalb des Burggrabens heraus, den wir ohne Probleme überwanden.
Hinter uns: ein Geräusch. Es war zum Glück nur das Miauen einer Katze, unsere Flucht war bis jetzt unbemerkt geblieben.
Wir liefen weiter in Richtung Waldrand, wo uns eine im Schatten verborgene Gestalt bereits erwartete. Es war Medik, der Waldläufer. "Folgt mir!"
Es ging durch die Dunkelheit und die Stille des Waldes, die nur einmal von einer Eule unterbrochen wurde.
Die Waldhütte war kaum von der Umgebung zu unterscheiden, überwuchert von Moosen und verdeckt vom Unterholz. Der Waldläufer öffnete uns die Tür und entzündete eine Fackel.
Der Schein fiel auf graue Haare und in ein freundliches Gesicht. Die Hütte schien leer zu sein, doch dann bückte er sich lockerte eine Bodendiele: "Hier sind eure Sachen und Proviant für drei Tage. Syr Kelen hat euch auch noch ein paar Rüstungsteile und Felle spendiert."
In meiner Größe war nichts dabei, aber Widun fand einen Topfhelm und Edwen nahm sich eine Halsberge.
Die Druidin hatte uns in die Waldhütte begleitet, während ihre Gefährten ausgeschwärmt waren und draußen Wache hielten. Im Fackelschein schlug sie ihre Kapuze zurück und dankte dem Waldläufer.
"Jetzt können wir uns endlich wieder unserem Auftrag widmen!"
Wir blickten uns an. Saradar ergriff das Wort: "Wie sieht denn euer Auftrag aus? Und was ist drin für uns, wenn" - Maluna stieß ihm in die Rippen.
Lyadan betrachtete uns erst nachdenklich, räusperte sich aber dann und begann zu erzählen.
"Unser König ist krank. Sein Sohn, der Nachfolger auf den Ebenholzthron, ist in Gefangenschaft. Er wurde in Korilion von den Alwonai aufgegriffen und verhaftet. Von einem Geheimboten erfuhren wir, dass er zum Tode verurteilt werden soll - was das Ende der Dynastie der Dhuns bedeuten würde, was zu Chaos und möglicherweise zum Untergang Valors führen würde. Das Imperium würde diese Schwäche sicher ausnutzen, um Valor dem Kaiser gefügig zu machen.
Wir hatten ein Pfand, einen gesuchten alwischen Verbrecher, bereits in Händen. Ihn hätten wir gegen unseren Thronfolger eintauschen können. Doch hat es dieser Magier geschafft zu entkommen und ins Wilde Land zu fliehen. Wir wollten ihn dorthin verfolgen, wurden dann aber durch eine imperiale Truppe aufgehalten und nach Firnhall gebracht. Ich kam mit Syr Kelen ins Gespräch und fand in ihm einen Freund der valoreanischen Sache. Er ist enttäuscht vom Imperium. Sein jetzt todkranker, dem Wahnsinn anheim gefallener Vater hat nie Hilfe vom Imperium erhalten, um den Norden des Reiches gegen die anstürmenden Barbaren zu verteidigen. Syr Kelen hat so seine drei Brüder verloren und ist verbittert. Ich danke euch, Bund aus Blut und Feuer. Ihr seid jetzt frei zu gehen."
Sie verließ die Hütte und wir überlegten, wie unser weiterer Weg aussehen sollte.
Nach Süden konnten wir erst einmal nicht zurück als steckbrieflich Gesuchte. Wir beschlossen, uns der Sache der Valoreaner anzuschließen.
Lyadan war erfreut, als sie von unserer Entscheidung erfuhr. Sie war gerade im Gespräch mit Medik, der ihr erklärte: "Der Nordwall wird stark bewacht. Diese blutrünstigen Helrak-Barbaren versuchen immer wieder, in den Norden der Frostmark vorzudringen, um unsere Dörfer zu plündern. Wenn ihr unbemerkt ins Wilde Land gelangen wollt, gibt es nur einen Weg. Ich werde ihn euch zeigen."
Wir folgten ihm durch den Wald bis zu einer steilen Felswand. Er drückte eine paar Büsche beiseite und wir blickten in einen dunklen Höhleneingang.
"Das ist die Passage ins Wilde Land, ein geheimes Tunnelsystem, das nur wenige Waldläufer des Nordens kennen. Syr Kelen hat mir erlaubt, es euch zu zeigen. Es könnte sein, dass ihr in den Tunneln auf ein wenig Widerstand stoßt, was aber gar nichts gegen das ist, was euch im Wilden Land erwartet. Der Tunnel endet direkt in den Helrak-Hügeln. Dort müsst ihr extrem vorsichtig sein. Falls ihr Feuer machen müsst, hebt immer eine Grube aus, sodass die Flammen nicht hoch auflodern können. Stellt immer Wachtposten auf! Wenn ihr in die Hände der Bluttrinker geratet, machen sie euch zu ihrem Festschmaus!"
Nach diesen - zumindest für mich - beängstigenden Worten verabschiedete sich Medik mit einem "Nivie zum Gruße" und verschwand in den Schatten des Waldes.